Cheftrainer Roberto Serniotti setzte auch in diesem wichtigen Europacupmatch auf seine Erfolgsformation der letzten Wochen, bestehend aus Kapitän Robert Kromm und Paul Lotman im Außenangriff, Tsimafei Zhukouski im Zuspiel, Paul Carroll als Diagonalangreifer, Felix Fischer und Nicolas Le Goff im Mittelblock sowie Erik Shoji auf der Liberoposition.
Einen solchen Fünf-Satz-Krimi hatte der Volleyballtempel in dieser Saison noch nicht erlebt. Vom Start weg war zu sehen, vor welch großer Aufgabe die BR Volleys an diesem Tag standen. Die Berliner mussten sich jeden Punkt ganz hart erkämpfen, weil die Gäste sofort mit starker Abwehr, kompakter Blockarbeit und ihrem Star-Diagonalangreifer Kostyantin Bakun die ersten Ausrufezeichen setzten (3:9). Aber die Hausherren zeigten Herz und Kampfgeist, Lotman servierte stark und brachte gemeinsam mit Carroll und Kromm die Orangenen zurück (8:9). Der Druck auf die Berliner Annahme war jedoch weiterhin gewaltig und so zog Surgut erneut davon (10:14). Jede Blockberührung des Hauptstadtclubs war schon wertvoll und ließ das Publikum aufschreien. Mit ihren Fans im Rücken und Fischer am Aufschlag durfte das nächste Comeback bejubelt werden (14:15). Das Wechselbad der Gefühle ging weiter: Wieder waren schnell vier Punkte Rückstand angehäuft, wieder war es Lotman am Service egal. Vier Aufschläge des US-Boys später führten die Berliner sogar erstmals (21:20). Trotzdem schafften es die russischen Riesen mit Hilfe ihrer unheimlichen Physis, sich die ersten zwei Satzbälle zu sichern (22:24). Die BR Volleys bewiesen aber Nervenstärke und nachdem Kromm die erste Gelegenheit abwehrte, stellte Carroll mit einem Ass auf Unentschieden. Nun war der Außenseiter voll da und erspielte sich drei Satzbälle nacheinander. Als Bakun den dritten davon ins Aus manövrierte (28:26), explodierte der Volleyballtempel zum ersten Mal an diesem denkwürdigen Abend.
Die Euphorie aus Satz eins nahm der Australier Carroll zwar direkt auf und verwandelte diese in Punkte (2:1), aber die Gäste aus Westsibirien legten minütlich zu (3:3). Einige Missveständnisse und Unkonzentriertheiten später mussten die Berliner dem nächsten Rückstand hinterherlaufen (5:9). Serniotti brachte Sebastian Kühner und Ruben Schott in die Partie, aber der Druck der Russen in Aufschlag und Block blieb immens hoch (8:17). Serniotti rotierte zurück und in der Endphase von Satz zwei gab es wieder regelmäßig Punktgewinne des Hauptstadtclubs zu bejubeln, dennoch kam das Aufbäumen zu spät (15:23). Im zweiten Versuch nutzte Surgut nach vergeblicher Rettungsaktion von Lotman und Kromm die Gelegenheit zum Satzausgleich (16:25).
In Satz drei demonstrierten die BR Volleys ihre ganze Klasse. Nach ausgeglichenem Beginn (4:4) konnten sich die Hausherren leicht absetzen (8:5). Kromm und Co fanden nun Mittel und Wege, den so starken russischen Block zu umgehen und im Gegenzug fasste auch der Block um Le Goff endlich zu (19:12). Nach Punkten des Franzosen und von Carroll waren die Berliner nicht mehr aufzuhalten (23:17). Als kurz darauf der russische Jungspund Semyshev seinen Angriff verfehlte, nutze Carroll die erste Gelegenheit, packte sein zweites, ganz wichtiges Ass aus und machte den nächsten Satzgewinn perfekt (25:17).
Die BR Volleys starteten furios in den vierten Satz und Kapitän Kromm führte sein Team an (4:2). Die Berliner schafften es jetzt mit vielseitigem Angriffsspiel den bisher so dominanten Safanov im Block zu umspielen und kamen über ihre Offensiv-Waffen Kromm, Carroll und Lotman regelmäßig zum Erfolg (13:11). Die Gastgeber waren tatsächlich auf einem guten Weg zur Sensation, aber Surgut mit seinem jungen Zuspieler Brdjovic zeigte im entscheidenden Moment wieder sein Leistungsvermögen. Als Apalikov seine Aufschläge plötzlich traf, entglitt den Hauptstädtern für kurze Zeit das Spiel (17:20). Diesen Rückstand holten sie trotz fulminanter Aktionen von Le Goff und Kromm nicht mehr auf und gaben den vierten Satz letztlich doch noch ab (20:25).
Nun musste also der Tie-Break die Entscheidung bringen, was sich das einmal mehr überragende Publikum auch verdient hatte. Die Spannung in diesem Entscheidungssatz war vom ersten Ballwechsel an greifbar. Jeder Fehler konnte der ausschlaggebende sein und trotzdem zeigten beide Mannschaften nicht nur Kampfgeist, sondern auch Risikofreude (3:3, 6:6). Beim Stand von 8:7 für die BR Volleys kam es zum spielentscheidenden Moment: Der bis dato überragende Safanov schleuderte den Schnellangriff ins Aus und brachte die Berliner damit auf die Siegerstraße. Le Goff schlug gefährlich auf und verbuchte die nächsten ganz wichtigen Punkte (12:7). Der Jubel auf den Rängen kannte kaum noch Grenzen, als Kapitän Kromm zum 14:8 punktete und seinem Team damit sechs Matchbälle sicherte. Nach kurzer Torschlusspanik und drei vergebenen Chancen behielt Publikumsliebling Felix Fischer die Ruhe, verwandelte den vierten Matchball und verewigte sich auf diese Weise ein weiteres Mal in den Geschichtsbüchern des Hauptstadtclubs (15:11).
Cheftrainer Serniotti zeigte sich nach dem Match stolz, aber auch analytisch: "Wenn wir gegen Surgut in der ersten Hälfte der Saison hätten spielen müssen, wären wir wohl als Verlierer vom Parkett gegangen. Jetzt sind wir stärker und haben auch in schwierigen Momenten die Ruhe bewahrt." Manager Kaweh Niroomand machte seinem Team ein Kompliment: "Ich bin sehr zufrieden damit, wie unsere Männer diese Aufgabe gemeistert haben. Es war klar, dass es kein Spaziergang werden würde. Wir haben uns schwergetan, ins Spiel zu finden, uns dann aber Punkt für Punkt gesteigert. Und wir haben in einigen ganz wichtigen Momenten die Nerven behalten, das zeichnet diese Mannschaft aus."
Die Chance auf den ersten europäischen Titel der Vereinsgeschichte lebt für die BR Volleys also weiter. Dazu bedarf es natürlich am Samstag in Surgut einer Meisterleistung. Wie schwer es sein wird, dort zu gewinnen oder zwei Sätze zu holen und dann im "Golden Set" um den Titel zu kämpfen, hat das Hinspiel in Berlin mehr als deutlich gemacht. Trotzdem glaubt Matchwinner Felix Fischer an den Traum und sein Team: "Das wird ein verdammt hartes Match in Russland, aber wenn wir dieses Niveau halten können, ist alles möglich."
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