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Fernweh als Triebkraft für eine große Volleyball-Karriere

Do 21.11.2024
Fotos: Andreas Gora/Anton Höfel
Fotos: Andreas Gora/Anton Höfel

Die Saison ist gerade erst ein paar Wochen alt, da wird die Max-Schmeling-Halle schon Schauplatz eines besonders emotionalen Volleyballknüllers. Im Viertelfinale des DVV-Pokals empfängt der Titelverteidiger BR Volleys die SVG Lüneburg (23. Nov um 18.00 Uhr). Da treffen zwei erfolgreiche Champions-League-Teilnehmer aufeinander, der Bundesliga-Tabellenführer aus Berlin begrüßt seinen ärgsten Verfolger. Es ist ein Alles-oder-Nichts-Spiel, ein sportlicher Höhepunkt – nicht nur, aber ganz besonders für Matthew Knigge. Der Amerikaner wechselte vor der Saison aus Niedersachsen an die Spree.       

Hier hat er sich sofort als riesige Verstärkung erwiesen. „Matt ist der perfekte Mittelblocker, hat einen sehr guten, sehr hohen Block“, sagt BR Volleys Geschäftsführer Kaweh Niroomand, „er ist sehr angriffsstark, seine Aufschläge sind eine richtig gute Waffe.“ Das Sportliche ist es aber nicht allein. „Es ist auch seine Art, die uns beeindruckt. Er ist ein Vollblut-Volleyballer, immer nach vorn gerichtet. Es ist Gold wert für eine Mannschaft, einen wie ihn zu haben. Er ist sehr intelligent, hellwach und weiß genau, was er will, ein echter Anführer. Wir sind sehr glücklich, dass er hier ist.“ Cheftrainer Joel Banks pflichtet dem bei: „Es macht sehr viel Freude, mit Matt zu arbeiten. Er kommt jeden Tag mit einem glücklichen Gesicht zum Training, mit vielen positiven Emotionen, viel Sonnenschein. Ein sehr intelligenter junger Mann. Sein Enthusiasmus und seine positive Energie sind fantastisch.“  

Großes Lob nach knapp drei Monaten Zusammenarbeit. Und wie sieht der 28-Jährige sich selbst? Er überlegt erst einmal, ob er das Gespräch lieber auf Deutsch oder auf Englisch führen will. Ungewöhnlich für einen Sportler aus den USA – fast alle würden freundlich, aber bestimmt „Englisch“ wählen. Sprachtalent Matthew Knigge lächelt das Klischee einfach weg und findet einen Mittelweg: „Fangen wir an auf Deutsch“, sagt er, „wenn das Gespräch mehr in die Tiefe geht, können wir immer noch wechseln.“ So erzählt er begeistert von seinem Leben, das eher gemächlich in New Egypt begann, einem Nest in New Jersey, „irgendwo im Nirgendwo“, wo es mehr Pferde und Rinder gibt als Menschen. Und das nun als Volleyballprofi genauso spannend ist, wie er sich das gewünscht hat.

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„Ich war 13, als ich zum ersten Mal mein Land verlassen habe, um meinen Onkel in Nürnberg zu besuchen“, berichtet Knigge von seinen deutschen Wurzeln. Seine Urgroßeltern waren in den 1930er-Jahren ausgewandert, die Familie lebte damals in Uelzen, Hannover und Bremen. „Seit meinem Besuch in Deutschland wuchs in mir die Sehnsucht wegzugehen. Raus aus New Egypt, aus New Jersey, den USA. Ich wollte die Welt kennenlernen.“ Wie, das war zweitrangig. Er schrieb sich ein für ein Programm der US-Regierung, das junge Menschen ins Ausland schickte, damit sie andere Sprachen lernten und diese Fähigkeit vielleicht später einmal für ihr Land nutzen könnten. Seine Unterschrift hatte er schon fast vergessen, als tatsächlich die Einladung kam: Sachen packen, es geht nach Jaroslawl an der Wolga. Das war vor elf Jahren, er war 17. Es hätte auch China, Indien oder Südkorea werden können. Es wurde Russland.

Knigge lacht viel, während er erzählt, mittlerweile in seiner Muttersprache. Er landete in einer Familie, in der niemand ein Wort Englisch sprach – so wie er kein russisches Wort verstand. Zwei Wochen lang schwirrte ihm der Kopf vor lauter Missverständnissen. „Ich habe geraten, was sie sagen könnten. Sie haben geraten, was ich meinen könnte.“ Andere hätten aufgegeben, er verlor nie seinen Humor. Verblüffend schnell klappte es wirklich besser mit dem Verstehen. Als Knigge nach vier Monaten Jaroslawl verließ, konnte er Russisch. Sein nächster Einsatz war Moldawien: Dort gab er Kindern Englischunterricht – auf Russisch. Im Jahr darauf studierte er in St. Petersburg Energiewirtschaft – auf Russisch. Es war die harte Tour, aber bei ihm jedenfalls hat sie funktioniert.  

Zurück in den USA, studierte Knigge an einer Elitehochschule im Bundesstaat New York Russisch und Ökonomie, spielte dort außerdem für die Vassar Brewers Volleyball. Das Fernweh hatte ihn nicht losgelassen, so wurde der Sport zum nächsten Sprungbrett in die Welt. Ein Agent erklärte ihm, dass der deutsche Zweitligist FC Schüttorf 09 Interesse habe, ihn zu verpflichten. Zweite Liga? „Das war mir egal“, sagt er, „sie zahlten mein Ticket nach Europa.“ Darum ging’s, Knigge akzeptierte. Nun nahm seine Karriere richtig Fahrt auf. Nach dem Start im Emsland verbrachte er vier Jahre in Spanien, zunächst in Lugo im Nordwesten des Landes, danach drei Saisons bei Guaguas Las Palmas auf Gran Canaria. Natürlich beherrschte das Sprachtalent Matt Knigge bald auch Spanisch. Auf der Kanareninsel verbesserte sich der Mittelblocker aber vor allem sportlich enorm, gewann die spanische Meisterschaft und den Pokal, hatte Auftritte in der Champions League. Was ihn für die SVG Lüneburg interessant machte, wo er sich in der vergangenen Saison erneut weiterentwickelte und sogar für das US-Nationalteam empfahl. Beinahe wäre der 2,02 Meter große Athlet bei den Olympischen Spielen in Paris dabei gewesen. Zumindest hat er sich dadurch und durch seine sehr starken Leistungen im Lüneburger Trikot gegen die BR Volleys einen Zwei-Jahres-Vertrag beim Deutschen Meister verdient.

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„Ich liebe dieses Leben“, schwärmt Knigge von den Chancen, die sich ihm eröffnen. „Zu Anfang habe ich gedacht: Ich spiele eine Saison. Ich wollte nicht wissen, was ich morgen mache, ich wollte nicht wissen, wohin die nächste Reise geht. Jetzt bin ich glücklich darüber, dass ich einen Job habe, den ich gut kann, der mich bezahlt, den ich mit Freude mache, der mir die Möglichkeit gibt, ein abenteuerreiches Leben zu führen.“ Nichts anderes wollte er. „Ich hoffe, wenn ich mal ein alter Mann bin, kann ich auf mein Leben zurückschauen und sagen: Das war lustig. Ich habe alles getan, was ich tun wollte, konnte die Abenteuer erleben, die ich erleben wollte.“ Bisher hatte er überall eine gute Zeit, auch in Lüneburg. „Ich hatte zum Glück immer Klubs, mit denen ich auf einer Linie war, wo ich mich zu Hause gefühlt habe: Las Palmas, Lüneburg, jetzt Berlin.“ Aber wie wird er sich fühlen beim Wiedersehen im Volleyballtempel?

„Triffst du auf ein Team, wo du nicht glücklich warst, hast du Revanchelust, willst sie fertig machen, hast das Gefühl, sie schulden dir was.“ So war es jedoch nicht. „Wir haben uns im Guten getrennt, ich habe in Lüneburg mein Bestes gegeben, Lüneburg hat mir alles gegeben.“ Etwas gemischt sind die Empfindungen dennoch: „Ich fühle mich großartig und zu Hause hier in Berlin, aber es fühlt sich etwas fremd an, wenn du gegen einen Klub spielst, über den du nur Gutes erzählen kannst. Über deine ehemaligen Mitspieler, den Coach, den Präsidenten, die Volunteers, die 3000 Fans. Einfach über alle.“ Trotzdem glaubt Knigge nicht, dass ihn das blockieren könnte. „Vom emotionalen Standpunkt betrachtet, ist es nicht so leicht, gegen Lüneburg zu spielen. Aber vom professionellen Standpunkt gibt es dir Extrafeuer. Du willst da raus und zeigen: Seht her, was ihr mir beigebracht habt.“ Er genieße solche Situationen. „Ich spiele dann nicht mit Wut im Bauch, sondern mit Liebe. Hoffentlich kann ich ihnen am Sonnabend zeigen, wie gut ich geworden bin.“

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Damit sich eines nicht wiederholt: Vergangene Saison ging Matthew Knigge in sechs Duellen zwischen beiden Klubs (dreimal im Playoff-Halbfinale, zweimal in der Liga, einmal im Pokal) insgesamt sechsmal als Verlierer vom Feld. „Das möchte ich ändern“, sagt er. Der Seitenwechsel könnte dabei hilfreich sein.

Tickets für das Pokal-Viertelfinale der BR Volleys in der Max-Schmeling-Halle am 23. November um 18.00 Uhr gegen die SVG Lüneburg gibt es hier: www.br-volleys.de/ticketshop

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